Das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung –
Die Antworten auf Fragen von gestern sind für die Herausforderungen von morgen ungeeignet ...
(Lesezeit ca. 8-10 min)
Wir schreiben den 14. Mai 2019. Der EuGH entscheidet, dass alle Arbeitszeiten von Arbeitnehmern seitens des Arbeitgeber systematisch erfasst werden müssen.
Rückblick in meine Angestelltenzeit
Ich lasse meine Gedanken durch meine Angestelltenzeit gleiten und erinnere mich an Positionen, in denen ich monatlich eine Pauschale erhalten habe und alle durchgeführten Überstunden abgegolten waren. Ende der 1990er Jahre hatte ich damit kein Problem. Damals war ich Ende Zwanzig und eine höhere Anzahl an Stunden zu leisten, war kein Problem. Dafür hatte ich ein fest kalkulierbares höhere Gehalt. Zudem konnte ich mich in meinem Arbeitsfeld als Führungskraft austoben und wenn es die Situation vorsah, blieb ich mit großer Freude und Leidenschaft einfach länger. Damals konnte weder meinem Arbeitgeber noch mir dadurch einen Schaden entstehen.
Es gab Tage, da bin ich mit 4 oder 5 Stunden Schlaf ausgekommen, denn es war Messe, ein wichtiger Kongress oder eben Weihnachtszeit. In dieser Zeit wusste jeder, dass Regeln ausgehebelt werden müssen, um das Beste für den Gast herausholen zu können. Wir taten es alle freiwillig. Es hat den Teamgeist gestärkt und wir waren immer nach einer solchen Zeit mächtig stolz auf uns, es wieder einmal geschafft zu haben.
Der Gang in die Freiberuflichkeit lenkte den Blick weg von Arbeitsstunden und Regeln dessen Einhaltung. Selbst und ständig ist ein Ausspruch, den wohl jeder Selbständige nicht nur gehört, sondern auch schon erlebt hat. Dann habe ich irgendwann meine ersten Werksstudenten im Büro vorgefunden und ich musste wieder mit diesem Thema auseinander setzen. Geplant und geordnet waren deren Einsätze und damit leicht einzuhalten, was die gesetzlichen Vorgaben anging.
Aus harmlos wird bürokratisch
Im ersten Anschein klingt das Urteil auch heute irgendwie harmlos. „Natürlich erfassen wir unsere Arbeitsstunden. Das ist ja nichts Besonderes“ höre ich eine Kleinunternehmerin aus meinem direkten Umfeld sagen. Ich überlege kurz und frage sie dann, wie sie die Zeiten von ihrem Team von 4 Personen erfasst? Nicht ganz ohne Hintergedanken ...
Heute hat sich auch mmp weiterentwickelt. Mein Team besteht aus Teilzeit-Mamas und dualen Studenten, denen ich ein moderner Arbeitgeber sein möchte. Dazu gehört eben auch, wenn der Hort nach der Schule ausfällt, dass Home Office möglich ist. Es versteht sich von selbst, dass ich meinen Mitarbeitern die Freiheit geben möchte, dass sie einen Teil ihrer Arbeitszeit selbst einteilen können, um so z. Bsp. ohne Urlaub oder Fehlzeiten Arzttermine wahrnehmen können, an ihrem Geburtstag mit ihrem Partner frühstücken gehen können oder ähnliches.
Fatale Folgen!
Doch mit dem neuen Urteil habe ich und auch der eine oder andere Unternehmer aus meinem Umfeld ein Problem. Ich vertraue meinem Team. Das bedeutet in der Zeiterfassung, dass jeder eigenständig eine Excelliste mit hinterlegten Formeln seinen Anwesenheitszeiten führt, die er mir spätestens am 3. Arbeitstag im neuen Monat unterschrieben vorlegen und als PDF abspeichern muss. Ich führe Kontroll-Stichproben in unregelmäßigen Abständen durch und bislang gab es keine Probleme. Wie sieht das in Zukunft aus? Brauche ich ein System, das von jedem digital gesteuert werden muss – bspw. über das Smartphone – mit Anfangs- und Endzeiten? Und wenn ja übers Smartphone müssen dann alle ein Firmensmartphone erhalten? Muss ich mir ein solches System anschaffen?
Ich bin verunsichert...
Ich spreche mit einer Kundin über das neue Urteil und hier höre ich, es wird herausfordernd. Denn aktuell prüfen sie einen 8-Stunden-Turnus in der Intensivpflege im Gegensatz zu einem 12-Stunden-Turnus und dies ist schon nach den ersten Tagen gescheitert... Bei diesem längeren Turnus sind Ruhe- und Pausenzeiten enthalten, die man nicht immer aktuell ein- oder ausstechen kann. Der Dienst am Patienten ist nicht statisch und gleich ausgerichtet..
Auch sie ist verunsichert...
Der Todesschlag kommt am Ende!
Und dann sitze ich im Auto auf der Rückfahrt von meinem Vortrags-Termin und greife das Urteil erneut gedanklich auf. In meinen Überlegungen und Erfahrungen, in meinem Zukunftsgedanken über die Arbeitswelt erlebe ich schon jetzt im Ansatz, dass die Maßeinheit Arbeitszeit durch Output ausgewechselt wird. Output in diesem Zusammenhang bedeutet nicht einfach nur Ergebnis, sondern Mehrwert durch die Erschaffung etwas Neuem oder durch die Art, ein bestehend gewünschtes Ergebnis auf neue Art schneller herbei geführt zu haben jedoch mit einem größeren Nutzen und erweiterten Mehrwert. Dieser Output hat einen höheren Wert, da er mehr Nutzen erreicht. Erzielt wurde er durch Kreativität, eine neue Herangehensweise oder auch durch die neue Verknüpfung bestehender Aspekte. Wir wissen doch heute schon, dass Arbeiten die statisch, mechanisch und wiederkehrend verlaufen, irgendwann von Computern übernommen werden. Es gibt heute schon Ergebnisse, die werden in einem viel kürzeren Zeitraum erzielt und bringen einen wesentlich höheren Nutzen hervor.
Behindern wir uns selbst?
Wird dann dieser ideenreiche Mensch weniger verdienen, weil er nicht auf seine 35-Stunden kommt? Wir wissen heute noch nicht, wie die Arbeitswelt von übermorgen aussieht. Aber wir zurren die Rahmenbedingungen von gestern immer enger in der Hoffnung etwas bewahren zu können, von dem wir wissen, dass es das morgen nicht mehr geben wird. Wird morgen noch die Arbeitszeit statt des Outputs im Sinne wie hier beschrieben die Maßeinheit sein? Können wir uns dadurch noch frei entfalten? Dabei würde uns dieser Output-Ansatz so entgegen kommen?
Ein Blick in die Zukunft - mutig
Unternehmen, die sich als Sinnstifter für alle Beteiligten verstehen, würde in Mehrwerten und Nutzen und nicht in Arbeitszeit und Anwesenheit abrechnen. Menschen würden sich den sinnstiftenden Arbeitgeber raussuchen, der zu ihrer Motivationsstruktur passt und Work-Life-Balance würde nicht bedeuten, weniger zu arbeiten, sondern andere Mehrwerte zu schaffen. Die Rollen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern verschwimmen immer mehr. Das moderne Unternehmen versteht sich als Nachhaltigkeitsträger. Es wird kein Projekt mehr durchgeführt, das nicht mindestens 3 Parteien einen echten Nutzen verschafft. Kein Ressourceneinsatz, ohne doppelten Ressourcengewinn und keine Zielsetzung ohne Ressourcenstärkung des Mikrokosmos eines Unternehmens.
Was wir sind!
Wir Unternehmen und Unternehmer sind nicht alle Betrüger und Steuerhinterzieher, wir sind nicht alle Ausbeuter und Menschenfeinde... Die größte Anzahl an Unternehmern sind Gestalter und Freiheitsmenschen, sind Sinnstifter und Sozialengagierte, sind Vereinsunterstützer und Innovatoren. Denn genau aus diesen Ansätzen heraus sind die meisten Unternehmer Unternehmer geworden - weil sie gestalten wollen.
Sind wir endlich mutig – es geht um unser Unternehmertum –
der neu gedacht werden sollte!
Doch was machen wir? Wir reden das Schlechte in den Vordergrund und in den Mittelpunkt. Wir stellen die Schwarzen Schafe als Sinnbild einer Branche dar und wir jammern lautstark über das Schlechte und Nachteilige, statt vom Guten und Sinnstiftenden zu schwärmen.
Oder aber wir ziehen die Gesetze der Arbeitszeiterfassung noch enger, statt uns die Frage zu stellen, was benötigen wir im Sinne des sinnstiftenden Unternehmens an Rahmenbedingungen in einer sich verändernden Welt morgen?
Doch für diese Fragen der Zukunft müssen wir unsere Fragestellung neu formulieren – nicht nur Unternehmen und die Menschen, die sie lenken und die dort arbeiten, sondern auch die Judikative... Sind wir dazu schon bereit?
Denn eines ist klar:
Mit den Fragen von gestern werden wir keine Antworten auf das morgen erhalten!